Kleinbetrieb

Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes im Kleinbetrieb?

Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber häufig eine ausgesprochen wichtige Frage. Denn wenn kein Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz besteht, dann kann der Arbeitgeber grundsätzlich das Arbeitsverhältnis jederzeit unter Einhaltung der gesetzlichen, vertraglichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist kündigen. Die Kündigung ist dann wirksam, wenn sie nicht eine Maßregelung des Arbeitnehmers für die zulässige Ausübung von Rechten darstellt oder gegen zivilrechtliche Generalklauseln verstößt, also sich z.B. als treuwidrig darstellt. Dieser Schutz ist sehr viel schwächer ausgeprägt als der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz.

Der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes, der die maßgeblichen Regelungen über die Unwirksamkeit von Kündigungen bei mangelnder sozialer Rechtfertigung enthält, gilt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz nicht für alle Betriebe und öffentlichen Verwaltungen. Die Anwendbarkeit dieses zentralen Abschnitts des Gesetzes wird vielmehr von einem Schwellenwert beschäftigter Arbeitnehmer abhängig gemacht, der im Laufe der Jahre immer wieder einmal gewechselt hat. Derzeit finden die Regelungen über den Kündigungsschutz nur Anwendung auf Betriebe und öffentliche Verwaltungen, in denen in der Regel 10 oder weniger Arbeitnehmer unter Ausschluss der Auszubildenden beschäftigt werden.

Dies gilt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen nicht für Arbeitnehmer, die am 31.12.2003 nach der damaligen Regelung (Schwellenwert 5 Arbeitnehmer oder weniger) bereits Kündigungsschutz genossen. Diesen steht auch heute noch der volle Kündigungsschutz jedenfalls dann zu, wenn die mehr als 5 "Altarbeitnehmer" nach wie vor beschäftigt werden.

Gekündigter Arbeitnehmer zählt bei der Berechnung des Schwellenwertes mit 

Bei der Berechnung des Schwellenwerts nach § 23 I 2 KSchG ist der gekündigte Arbeitnehmer auch dann mit zu berücksichtigen, wenn Kündigungsgrund die unternehmerische Entscheidung ist, den betreffenden Arbeitsplatz nicht mehr neu zu besetzen.

(BAG, Urt. v. 22.01.2004 – 2 AZR 237/03 in NJW 2004, 1818)

Unabhängig vom aktuell geltenden Schwellenwert hat die Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht wiederholt die Frage beschäftigt, inwieweit auch Arbeitnehmer in Kleinbetrieben, in denen der Schwellenwert nicht erreicht wird, Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießen. Anerkannt ist dabei zunächst, dass in Filialgeschäften die Mitarbeiter der einzelnen Filialen bei der Feststellung der Betriebsgröße zusammenzurechnen sind.

Zusammenrechnung der Mitarbeiter in mehreren Geschäften des Arbeitgebers (Filialunternehmen) 

Es besteht in Rechtsprechung und Literatur zwar weitgehend Einigkeit darüber, dass die Kleinbetriebsklausel des § 23 Kündigungsschutzgesetz betriebsbezogen zu prüfen ist, doch gibt es Bemühungen, zumindest zu einer Arbeitgeber bezogenen Prüfung zu gelangen.

Als Betrieb ist auch im Sinn des § 23 die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfs erschöpfen, zu betrachten.

Selbst wenn man nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kleinbetriebsklausel ohnehin zu dem Ergebnis gelangt, dass im Hinblick auf den Arbeitgeber und nicht im Hinblick auf den Betrieb zu prüfen ist, so ergibt sich im Hinblick auf Verkaufsstellen dennoch die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes:

„Unterhält ein Arbeitgeber mehrere, jeweils nur mit fünf oder weniger Angestellten besetzte, aber einheitlich und zentral gelenkte Verkaufsstellen, so ist nicht schon die einzelne Verkaufsstelle, sondern erst die Gesamtheit aller Verkaufsstellen zusammen mit der zentralen Verwaltungsstelle ein Betrieb im Sinn des Kündigungsschutzgesetzes."

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.08.1971, Arbeitsrechtliche Praxis Kündigungsschutzgesetz 1969, § 22 Nr. 1.
 

Bereits nach diesem Urteil ist bei typischen Filialbetrieben eine Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auszugehen. Weitergehend ist aber unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auch auf andere Kleinbetriebe im Einzelfall zu prüfen.
 

 

Leiharbeitnehmer zählen bei der Berechnung der Anzahl der Arbeitnehmer mit

Am 24.01.2013 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass bei der Berechnung der Anzahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. § 23 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind. Die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts:

Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gilt das Kündigungsschutzgesetz für nach dem 31. Dezember 2003 eingestellte Arbeitnehmer nur in Betrieben, in denen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind auch im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel" vorhandenen Personalbedarf beruht. Dies gebietet eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der gesetzlichen Bestimmung.

Der Kläger war seit Juli 2007 bei der Beklagten beschäftigt. Diese beschäftigte einschließlich des Klägers zehn eigene Arbeitnehmer. Im November 2009 sprach die Beklagte eine fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien aus. Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, bei der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer seien auch die von der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, weil das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Die Revision des Klägers hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Es ist nicht auszuschließen, dass im Betrieb der Beklagten mehr als zehn Arbeitnehmer i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG beschäftigt waren. Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern steht nicht schon entgegen, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes soll der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zumeist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belastet. Dies rechtfertigt keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder dem entliehener Arbeitnehmer beruht.

Der Senat hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeits-gericht zurückverwiesen. Es steht noch nicht fest, ob die im Kündigungszeitpunkt im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer aufgrund eines regelmäßigen oder eines für den Betrieb „in der Regel" nicht kennzeichnenden Geschäftsanfalls beschäftigt waren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Januar 2013 - 2 AZR 140/12 -
 

 

Sozialauswahl auch im Kleinbetrieb

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1998 entschieden, dass auch in solchen Betrieben, die den Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht erreichen,Arbeitnehmern gegenüber Kündigungen ein gewisser Schutz zustehe. Dieser Schutz sei durch die Anwendung der Generalklauseln des Zivilrechts und unter Beachtung des objektiven Gehalts der Grundrechte im Sinn eines Mindestschutzes zu gewähren. Dieser Rechtsprechung kommt nunmehr besondere Bedeutung zu, da der Gesetzgeber den Schwellenwert für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes bekanntlich zum 01.01.2004 auf 10 Arbeitnehmer erhöht hat, das Kündigungsschutzgesetz mit seinem allgemeinen Kündigungsschutz also nur noch anwendbar ist, wenn mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Beschlüssen vom 27.01.1998 ( 1 BvL 15/87 und 1 BvL 22/93, NJW 1998, 1475 u. 1478) ausgeführt, die über die Jahre mehrfach geänderte Kleinbetriebsklausel des § 23 Kündigungsschutzgesetz sei in verfassungskonformer Auslegung nicht zu beanstanden.

Der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gebiete aber ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme, soweit unter mehreren Arbeitnehmern hinsichtlich der Kündigung eine Auswahl zu treffen ist. Ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses dürfe nicht generell unberücksichtigt bleiben. Arbeitnehmer müssten jedoch vor willkürlichen oder auf sachfremden Motivern beruhenden Kündigungen geschützt werden. In zwei neueren Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht diese wenig praxistauglichen Formulierungen nunmehr konkretisiert und diesem Kündigungsschutz "zweiter Klasse" Konturen gegeben.

Nach einer neueren Entscheidung des Bundesarbeitsgericht hat der Arbeitgeber bei einer beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung im Kleinbetrieb, also beabsichtigtem Personalabbau, keine vollkommene Entscheidungsfreiheit, welchen Arbeitnehmer er kündigt. Der Arbeitgeber muss die Auswahl unter den Arbeitnehmern vielmehr nach sachlichen Kriterien vorzunehmen. Klagt ein gekündigter Arbeitnehmer mit der Begründung, die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers verstoße gegen Treu und Glauben, so muss er allerdings, anders als bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, darlegen und beweisen, dass die Kündigung treuwidrig ist. Es reicht aber zunächst aus, wenn der Arbeitnehmer die Sozialdaten der aus seiner Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer darlegt. Dann muß sich der Arbeitgeber zum Vortrag des Arbeitnehmers erklären, wenn er die Behauptungen entkräften will (BAG NZA 2001, 833). Aus dem Vorbringen des Arbeitnehmers muss sich allerdings auch ergeben, dass er mit den nicht gekündigten Arbeitnehmern auf den ersten Blick vergleichbar ist (BAG, Urt. v. 06.02.2003 - 2 AZR 672/01 - NJW 2003, 2188).

Die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes setzt nach einer weiteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel nicht voraus, dass gegenüber dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung dessen Verhalten vergeblich abgemahnt wurde (BAG NZA 2001, 951), wie dies bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich erforderlich ist.

Auch im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, müssen sich Arbeitgeber mithin jedenfalls bei betriebsbedingten Kündigungen darauf einstellen, dass auch hier ihre Auswahlentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Arbeitnehmer haben auch dann Chancen, sich gegen eine Kündigung erfolgreich zur Wehr zu setzen, wenn das Kündigungsschutzgesetz auf ihr Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet. Willkürliche und auf sachfremden Motiven beruhende Kündigungen sind auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam.