Aktuelles

 

„Befriedigend" bleibt mittlere Note

Auch wenn inzwischen eine überwiegende Mehrheit von Arbeitszeugnissen dem Arbeitnehmer die Note "gut" oder "sehr gut" bescheinigen, ändert dies nichts daran, dass "befriedigend" die mittlere, durchschnittliche Note bleibt. Der Arbeitnehmer muss, wenn er im Wege der Zeugniskorrekturklage eine bessere Note erzielen will, darlegen und beweisen, dass seine Leistungen besser waren. Dies hat das Bundesarbeitsgericht jetzt noch einmal bestätigt:

Leistungsbeurteilung im Zeugnis

Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis unter Verwendung der Zufriedenheitsskala, die ihm übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit" erfüllt zu haben, erteilt er in Anlehnung an das Schulnotensystem die Note „befriedigend". Beansprucht der Arbeitnehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit") oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit") Endnoten vergeben werden.

Die Klägerin war vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011 in der Zahnarztpraxis der Beklagten im Empfangsbereich und als Bürofachkraft beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörten u.a. die Praxisorganisation, Betreuung der Patienten, Terminvergabe, Führung und Verwaltung der Patientenkartei, Ausfertigung von Rechnungen und Aufstellung der Dienst- und Urlaubspläne. Darüber hinaus half die Klägerin bei der Erstellung des Praxisqualitätsmanagements. Die Beklagte erteilte ihr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis. Die Parteien streiten noch darüber, ob die Leistungen der Klägerin mit „zur vollen Zufriedenheit" oder mit „stets zur vollen Zufriedenheit" zu bewerten sind. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und angenommen, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die von der Klägerin beanspruchte Beurteilung nicht zutreffend sei.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die vom Landesarbeitsgericht zur Ermittlung einer durchschnittlichen Bewertung herangezogenen Studien, nach denen fast 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schlussnoten „gut" oder „sehr gut" aufweisen sollen, führen nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an. Ansatzpunkt ist die Note „befriedigend" als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehrt der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Im Übrigen lassen sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich „wahres" Zeugnis. Das umfasst auch die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

Der Neunte Senat hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird als Tatsacheninstanz zu prüfen haben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala rechtfertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringt.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 18. November 2014 - 9 AZR 584/13 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 21. März 2013 - 18 Sa 2133/12 -

Pressemitteilung Nr. 61/14

 

Zusätzliche Urlaubstage nach Vollendung des 58. Lebensjahres

Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein. Bei der Prüfung, ob eine solche vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter dient und geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG ist, steht dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu.

Die nicht tarifgebundene Beklagte stellt Schuhe her. Sie gewährt ihren in der Schuhproduktion tätigen Arbeitnehmern nach Vollendung des 58. Lebensjahres jährlich 36 Arbeitstage Erholungsurlaub und damit zwei Urlaubstage mehr als den jüngeren Arbeitnehmern. Die 1960 geborene Klägerin hat gemeint, die Urlaubsregelung sei altersdiskriminierend. Die Beklagte habe deshalb auch ihr jährlich 36 Urlaubstage zu gewähren.

Die Vorinstanzen haben den hierauf gerichteten Feststellungsantrag der Klägerin abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte hat mit ihrer Einschätzung, die in ihrem Produktionsbetrieb bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit leistenden Arbeitnehmer bedürften nach Vollendung ihres 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten als jüngere Arbeitnehmer, ihren Gestaltungs- und Ermessensspielraum nicht überschritten. Dies gilt auch für ihre Annahme, zwei weitere Urlaubstage seien aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen, zumal auch der Manteltarifvertrag der Schuhindustrie vom 23. April 1997, der mangels Tarifbindung der Parteien keine Anwendung fand, zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vorsah.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 21. Oktober 2014 - 9 AZR 956/12 - 

 

 

Bundesgerichtshof entscheidet über den Verjährungsbeginn für Rückforderungsansprüche von Kreditnehmern hinsichtlich vereinbarter Darlehensbearbeitungsentgelte

Nachdem der Bundesgerichtshof am 13.05.2014 entschieden hatte, dass die Vereinbarung von Bearbeitungsentgelten den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Verbraucherkreditverträge unwirksam ist (BGH, Urteil vom 13.05.2014, XI ZR 170/13), hat er nun entschieden, dass die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Jahres 2011 zu laufen begann, damit erst am 31.12.2014 abläuft.

Davon ausgehend sind infolge der absoluten - kenntnisunabhängigen - 10-jährigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 4 BGB derzeit nur solche Rückforderungsansprüche verjährt, die vor dem Jahr 2004 oder im Jahr 2004 vor mehr als 10 Jahren entstanden sind, sofern keine verjährungshemmenden Maßnahmen ergriffen worden sind.

BGH, Urteil vom 28.10.2014, XI ZR 348/13

 

 

Pressemitteilung Nr. 57/14

Genehmigung des Betreuungsgerichts bei Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen

Der u.a. für Betreuungssachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen das Betreuungsgericht den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen genehmigen muss.

Die 1963 geborene Betroffene erlitt im Jahr 2009 eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas. Sie wird über eine Magensonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich. Der Ehemann und die Tochter der Betroffenen, die zu ihren Betreuern bestellt sind, haben beim Betreuungsgericht beantragt, den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu genehmigen. Hilfsweise haben sie die Feststellung beantragt, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung nicht genehmigungsbedürftig sei. Sie stützen ihren Antrag darauf, dass sich die Betroffene vor ihrer Erkrankung gegenüber Familienangehörigen und Freunden gegen eine Inanspruchnahme von lebenserhaltenden Maßnahmen für den Fall einer schweren Krankheit ausgesprochen habe.

Das Amtsgericht hat den Antrag und den Hilfsantrag abgewiesen, das Landgericht die Beschwerde der Betreuer zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Betreuer war erfolgreich. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Nach § 1904 Abs. 2 BGB bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund des Unterbleibens bzw. des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahme stirbt. Eine solche betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Liegt dagegen keine wirksame Patientenverfügung vor, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen (§ 1901 a Abs. 2 BGB). Die hierauf beruhende Entscheidung des Betreuers bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn zwischen ihm und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem festgestellten Willen des Betroffenen entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB).

In den verbleibenden Fällen, in denen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist, ist diese gemäß § 1904 Abs. 3 BGB vom Betreuungsgericht zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betroffenen entspricht. Das Betreuungsgericht hat bei dieser Prüfung nach § 1901 a Abs. 2 BGB zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits zu unterscheiden. Behandlungswünsche können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen. Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist nur abzustellen, wenn sich ein erklärter Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt.

Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter – dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen einerseits und dem Schutz des Lebens andererseits – Rechnung zu tragen haben. Die bei der Ermittlung und der Annahme eines Behandlungswunsches oder des mutmaßlichen Willens zu stellenden strengen Anforderungen gelten nach § 1901 a Abs. 3 BGB unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.

Auf der Grundlage dieser zum 1. September 2009 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen hat der Bundesgerichtshof die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass hier wegen des nicht unmittelbar bevorstehenden Todes der Betroffenen noch strengere Beweisanforderungen für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens gelten, als in anderen Fällen. Bei seiner erneuten Prüfung wird das Landgericht etwaige geäußerte Behandlungswünsche der Betroffenen unter Anlegung des zutreffenden Prüfungsmaßstabs neu zu ermitteln haben.

BGH, Beschluss vom 17.09.2014, XII ZB 202/13,

 

Sozialgericht Dortmund: Gesellschafter-Geschäftsführer sozialversicherungspflichtig beschäftigt

Ein GmbH-Geschäftsführer, der über eine Minderheitsbeteiligung an der Gesellschaft verfügt, ist als abhängig Beschäftigter sozialversicherungspflichtig, wenn er zwar für die Firma wesentliche Fachkenntnisse und Kundenkontakte besitzt, sich jedoch Arbeitnehmerrechte wie ein leitender Angestellter sichert.

Dies entschied das Sozialgericht Dortmund im Falle des Geschäftsführers einer Softwarefirma aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, der einen Gesellschafteranteil von 49,71 % besitzt, ohne über eine umfassende Sperrminorität zu verfügen. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund hatte im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens entschieden, dass der Geschäftsführer als abhängig Beschäftigter versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sei.

Die hiergegen von der Firma erhobene Klage hat das Sozialgericht Dortmund als unbegründet abgewiesen. Der beigeladene Geschäftsführer übe eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs 1 SGB IV aus. Er habe allein auf Grund seiner Gesellschafterrechte nicht die Möglichkeit, seine Weisungsgebundenheit aufzuheben. Die Ausgestaltung seines Anstellungsvertrages mit Gehaltsvereinbarung, Urlaubsanspruch, Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und anderen Nebenleistungen spreche für eine typische Beschäftigung als leitender Angestellter. Dies gehe so weit, dass die Vertragsparteien Ansprüche des Geschäftsführers aus einem vorangegangenen Arbeitsvertrag fortschrieben.

Die mit der Klage herausgestellte besondere Rolle des Geschäftsführers bei der Entwicklung von Softwareprodukten und der Pflege von Kundenkontakten führe zu keiner anderen Beurteilung. Die branchenspezifischen Kenntnisse und Kundenkontakte habe der Geschäftsführer während seiner vorangegangenen langjährigen abhängigen Beschäftigung bei der Klägerin als Entwickler erworben. Von daher leuchte es nicht ein, diesen Aspekt nunmehr zur Begründung seiner Selbständigkeit heranzuziehen. Auch sei es nicht unüblich, dass kleinere Firmen von dem Fachwissen und den Kundenkontakten leitender Angestellter abhängig seien.

Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 21.03.2014, Az.: S 34 R 580/13, Pressemitteilung vom 10.04.2014

 

Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung wegen versuchten Betruges durch Betreiben so genannter "Abo-Fallen" im Internet

„Abo-Fallen" im Internet sind ein Ärgernis für Betroffene und für ihre Anwälte. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen ein Angebot nutzen, ohne dabei zu wissen, dass sie ein kostenpflichtiges Angebot in Anspruch nehmen, weil die Preisangaben so unauffällig oder versteckt erfolgen, dass dies den Nutzern entgeht. Diese sind dann nachfolgend penetranten Mahnungen – nicht zuletzt auch von Inkassodiensten und zum Teil sogar Rechtsanwälten – ausgesetzt. Für die Rechtsanwälte der betroffenen Internet-Nutzer sind die Fälle ein Ärgernis, weil die in der Regel sehr geringen Streitwerte ein kostendeckendes Arbeiten nicht erlauben.

Dem hat der Bundesgerichtshof jetzt - hoffentlich - einen Riegel vorgeschoben und die Verurteilung eines Betreibers mehrerer solcher „Abo-Fallen" wegen versuchten Betrugs bestätigt.

Nachfolgend finden Sie die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs (Nr. 43/14 vom 06.03.2014) im Wortlaut:

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Aufgrund überlanger Verfahrensdauer hat es angeordnet, dass vier Monate der verhängten Strafe als vollstreckt gelten.

Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte verschiedene kostenpflichtige Internetseiten, die jeweils ein nahezu identisches Erscheinungsbild aufwiesen, unter anderem einen sogenannten Routenplaner. Die Inanspruchnahme des Routenplaners setzte voraus, dass der Nutzer zuvor seinen Vor- und Zunamen nebst Anschrift und E-Mail-Adresse sowie sein Geburtsdatum eingab. Aufgrund der vom Angeklagten gezielt mit dieser Absicht vorgenommenen Gestaltung der Seite war für flüchtige Leser nur schwer erkennbar, dass es sich um ein kostenpflichtiges Angebot handelte. Die Betätigung der Schaltfläche "Route berechnen" führte nach einem am unteren Seitenrand am Ende eines mehrzeiligen Textes klein abgedruckten Hinweis zum Abschluss eines kostenpflichtigen Abonnements, das dem Nutzer zum Preis von 59,95 € eine dreimonatige Zugangsmöglichkeit zu dem Routenplaner gewährte. Dieser Fußnotentext konnte in Abhängigkeit von der Größe des Monitors und der verwendeten Bildschirmauflösung erst nach vorherigem "Scrollen" wahrgenommen werden.

Nach Ablauf der Widerrufsfrist erhielten die Nutzer zunächst eine Zahlungsaufforderung. An diejenigen, die nicht gezahlt hatten, versandte der Angeklagte Zahlungserinnerungen; einige Nutzer erhielten zudem Schreiben von Rechtsanwälten, in denen ihnen für den Fall, dass sie nicht zahlten, mit einem Eintrag bei der "SCHUFA" gedroht wurde.

Das Landgericht hat den Angeklagten im Hinblick auf die einmalige Gestaltung der Seite nur wegen einer Tat und im Hinblick darauf, dass die Ursächlichkeit der Handlung für einen konkreten Irrtum eines Kunden nicht nachgewiesen sei, nur wegen versuchten Betrugs verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gewandt. Er hat vor allem beanstandet, dass unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben eine Täuschungshandlung nicht vorliege und im Übrigen den Nutzern auch kein Vermögensschaden entstanden sei.

Der 2. Strafsenat hat das Rechtsmittel verworfen. Er hat ausgeführt, dass durch die auf Täuschung abzielende Gestaltung der Internetseite die Kostenpflichtigkeit der angebotenen Leistung gezielt verschleiert worden sei. Dies stelle eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB dar. Die Erkennbarkeit der Täuschung bei sorgfältiger Lektüre schließe die Strafbarkeit nicht aus, denn die Handlung sei gerade im Hinblick darauf unternommen worden, die bei einem – wenn auch nur geringeren - Teil der Benutzer vorhandene Unaufmerksamkeit oder Unerfahrenheit auszunutzen.

Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken). Die Richtlinie führe jedenfalls hier nicht zu einer Einschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes.

Auch ein Vermögensschaden sei gegeben. Dieser liege in der Belastung mit einer bestehenden oder auch nur scheinbaren Verbindlichkeit, da die Gegenleistung in Form einer dreimonatigen Nutzungsmöglichkeit für den Nutzer praktisch wertlos sei.

BGH, Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 616/12

Landgericht Frankfurt am Main - Urteil vom 18. Juni 2012 - 5-27 KLs 12/08

 

 

OLG Hamm: Unterhalt kann bei unberechtigten Missbrauchsvorwürfen verwirkt sein

Immer wieder kommt es vor, dass in familienrechtlichen Verfahren der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben wird. Das Oberlandesgericht Hamm hat nunmehr entschieden, dass ein unberechtigter Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs des Ehegatten führen kann.

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts kann der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten verwirkt sein, wenn er dem unterhaltsverpflichteten Ehegatten über Jahre wiederholt zu Unrecht sexuellen Missbrauch vorwirft und die Vorwürfe objektiv geeignet sind, den Unterhaltsverpflichteten in der Öffentlichkeit nachhaltig verächtlich zu machen und so seine familiäre, soziale und wirtschaftliche Existenz zu zerstören.

OLG Hamm, Beschluss vom 3. Dezember 2013, 2 UF 105/13

 

OLG Hamm: Kein Unterhalt bei Anspruch auf BAFöG-Leistungen

Ein Kind kann von seinen Eltern keinen Unterhalt verlangen, soweit es seinen Unterhaltsbedarf durch BAföG-Leistungen decken kann.

Es ist Sache des im Studium befindlichen volljährigen Kindes darzutun und zu belegen, dass ihm bei rechtzeitiger Antragstellung keine Ausbildungsförderung gewährt worden wäre. Solange ein Antrag des Kindes auf BAföG-Leistungen nicht von vornherein aussichtslos ist, ist eine solche Antragstellung auch zumutbar.

Das ist auch dann der Fall, wenn die Leistungen zum Teil als Darlehen gewährt werden.

Im Unterhaltsrecht obliegt es unter Umständen dem Verpflichteten, zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit einen Kredit aufzunehmen. Für den Unterhaltsberechtigten gilt Entsprechendes. Er hat die Möglichkeit zur Kreditaufnahme auszunutzen, um nicht unterhaltsbedürftig zu werden. Diese Obliegenheit zur Selbsthilfe besteht freilich nur im Rahmen des Zumutbaren. Im Hinblick auf die günstigen Bedingungen von BaFöG-Darlehen ist die Inanspruchnahme eines solchen Darlehens grundsätzlich zumutbar.

OLG Hamm, Beschluss vom 26.09.2013, 2 WF 161/13

 

BGH: Lottogewinn fällt in den Zugewinnausgleich

Ein Ehepaar trennte sich nach 29 Jahren Ehe, aus der drei Kinder hervorgegangen waren. Der Mann lebte anschließend mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen. Mit ihr gemeinsam erzielte er einen Lottogewinn von fast einer Million Euro. Erst nach dem Gewinn, nach jahrelanger Trennungszeit, reichte der Mann die Scheidung ein. Die Ehefrau machte daraufhin unter Berücksichtigung des Gewinnanteils des Mannes einen Zugewinn geltend, also in Höhe eines Viertels des Gesamtgewinns. Das Amtsgericht gab dem Antrag in vollem Umfang statt, aber das OLG gestand ihr lediglich eine Zahlung von 8.000 Euro zu. Der BGH indes entschied wie das Amtsgericht: Der Gewinnanteil wird vollständig in die Berechnung des Zugewinnausgleichs einbezogen. Denn der erzielte Lottogewinn kann nicht in entsprechender Anwendung des § 1374 Abs. 2 BGB als privilegierter Vermögenszuwachs angesehen werden, weil diesem Vermögenserwerb keine der Erbschaft oder Schenkung vergleichbare persönliche Beziehung zugrunde liegt. Auch auf eine grobe Unbilligkeit kann sich der Ehemann nicht berufen. Eine längere Trennungszeit begründet keine unbillige Härte.

Az XII ZB 277/12, Beschluss vom 16.10.2013, BGH-Pressemitteilung

 

 Gemeinsames Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern

Am 19.5.2013 ist das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern in Kraft getreten.

Bisher stand nicht miteinander verheirateten Eltern die elterliche Sorge nur dann gemeinsam zu, wenn sie übereinstimmende Sorgeerklärungen abgaben oder einander heirateten. Bisher hatten nicht verheiratete Väter keine Möglichkeit, gegen den Willen der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht durchzusetzen. Diesen Zustand hatten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht beanstandet.

Durch das neue Gesetz wird dem Vater die Möglichkeit eingeräumt, die elterliche Mitsorge auch dann zu erlangen, wenn die Mutter nicht erklärt, diese gemeinsam mit ihm übernehmen zu wollen. Die gemeinsame Sorge soll auch entstehen, wenn das Familiengericht sie den Eltern auf Antrag eines Elternteils überträgt. Dabei soll das Gericht regelmäßig die Übertragung der gemeinsamen Sorge beschließen, wenn sie dem Kindeswohl nicht widerspricht. Schweigt der andere Elternteil oder trägt er keine relevanten Gründe vor und sind solche Gründe auch für das Gericht nicht ersichtlich, besteht künftig eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

 

Beschränkung oder Wegfall des Versorgungsausgleichs - § 27 Versorgungsausgleichsgesetz

Nach § 27 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) findet eine Versorgungsausgleich (ganz oder teilweise) nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung der von den Ehegatten erworbenen Versorgungsanwartschaft abzuweichen.Dazu eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken, der zu entnehmen ist, wie streng die Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen der Norm zu interpretieren sind:„Nach dieser Vorschrift findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Weil § 27 VersAusglG für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit erfordert, sind strengere Maßstäbe als bei der Prüfung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB anzulegen. Eine grobe Unbilligkeit kann daher nur dann angenommen werden, wenn im Einzelfall die rein schematische Durchführung des Wertausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Versorgungsanwartschaften zu gewähren, in unerträglicher Weise widerspräche. Hierbei ist auch und gerade dem den Versorgungsausgleich beherrschenden Gedanken, dass jede Ehe infolge der auf Lebenszeit angelegten Lebensgemeinschaft schon während der Erwerbstätigkeit des oder der Ehegatten im Keim (auch) eine Versorgungsgemeinschaft ist, Rechnung zu tragen. Deshalb sollen die während der Ehezeit erworbenen Versorgungsanwartschaften gemäß dem ursprünglich gemeinsamen Zweck der beiderseitigen Alterssicherung grundsätzlich aufgeteilt werden. Der mit der Anwendung der Härtefallregelung verbundene nachträgliche Eingriff in einen während der Ehe erzielten, abgeschlossenen Vermögenserwerb gebietet außerdem eine Beschränkung auf besonders grobe Verstöße. Weil mit § 27 VersAusglG eine Änderung des materiellen Gehalts der im bisherigen Recht zum Versorgungsausgleich in § 1587 c BGB geregelten Härteklauseln nicht verbunden ist, ermöglicht es die Formulierung in § 27 VersAusglG, auf die bisherige Rechtsprechung zu den in §§ 1587 c, 1587 h BGB a.F., § 3 a Abs. 6 VAHRG a.F. ausdrücklich geregelten Härtefällen und den darüber hinaus entwickelten Fallgruppen zurückzugreifen. Die grobe Unbilligkeit muss sich wegen des Ausnahmecharakters von § 27 VersAusglG im Einzelfall aus einer Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten ergeben. Da § 27 VersAusglG eine anspruchsbegrenzende Norm ist, trägt der Ehegatte, der sich gegen die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs wendet, für die tatsächlichen Voraussetzungen der Norm die Darlegungs- und Feststellungslast. Die so feststellbaren Umstände müssen die sichere Erwartung rechtfertigen, dass sich der uneingeschränkte Versorgungsausgleich grob unbillig zu Lasten des Ausgleichspflichtigen auswirken wird (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 - XII ZB 527/12 -, juris; BGH FamRZ 2013, 106; 2012, 845; 2011, 877; Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 2013 - 6 UF 378/12 -, vom 1. Oktober 2012 - 6 UF 68/12 -, FamFR 2012, 539, und vom 27. Juli 2011 - 6 UF 80/11 -, juris; Beschlüsse des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 28. Januar 2013 - 9 UF 71/12 - und vom 1. Juni 2011 - 9 UF 90/10 -, FamRZ 2012, 449, jeweils m.w.N.; BT-Drucks. 16/10144 S. 68)."

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.03.2013, 6 UF 44/13  

 

Kündigungsschutz: Leiharbeitnehmer und Größe des Betriebs 

Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gilt das Kündigungsschutzgesetz für nach dem 31. Dezember 2003 eingestellte Arbeitnehmer nur in Betrieben, in denen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind auch im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel" vorhandenen Personalbedarf beruht. Dies gebietet eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der gesetzlichen Bestimmung. Der Kläger war seit Juli 2007 bei der Beklagten beschäftigt. Diese beschäftigte einschließlich des Klägers zehn eigene Arbeitnehmer. Im November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht. Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, bei der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer seien auch die von der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, weil das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Die Revision des Klägers hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Es ist nicht auszuschließen, dass im Betrieb der Beklagten mehr als zehn Arbeitnehmer i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG beschäftigt waren. Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern steht nicht schon entgegen, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes soll der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zumeist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belastet. Dies rechtfertigt keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder dem entliehener Arbeitnehmer beruht. Der Senat hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeits-gericht zurückverwiesen. Es steht noch nicht fest, ob die im Kündigungszeitpunkt im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer aufgrund eines regelmäßigen oder eines für den Betrieb „in der Regel" nicht kennzeichnenden Geschäftsanfalls beschäftigt waren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Januar 2013 - 2 AZR 140/12 -  

 

Schwangere Schwangerschaftsvertretung

Eine Frau, die befristet zur Vertretung einer schwangeren Mitarbeiterin eingestellt wird, muss dem Arbeitgeber vor Abschluss des Arbeitsvertrages nicht offenbaren, dass sie ebenfalls schwanger ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 11.10.2012 entschieden.Die Frage nach einer Schwangerschaft wird grundsätzlich als unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 2 AGG bewertet. Eine schwangere Frau braucht deshalb auch weder von sich aus noch auf entsprechende Frage vor Abschluss des Arbeitsvertrages eine bestehende Schwangerschaft zu offenbaren. Das gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 4. 10. 2001 – C-109/00) selbst dann, wenn nur ein befristeter Arbeitsvertrag begründet werden soll und die Bewerberin während eines wesentlichen Teils der Vertragszeit nicht arbeiten kann.Auch in dem Fall, dass der befristete Vertrag zur Vertretung einer ebenfalls schwangeren Mitarbeiterin dienen sollte, sah das Landesarbeitsgericht keine Ausnahme als begründbar an. Eine wegen Verschweigens der Schwangerschaft erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber war deshalb unwirksam. Offen gelassen wurde, ob in Fällen eines dauerhaften Beschäftigungsverbots eine Ausnahme zu machen wäre. Denn das lag im entschiedenen Fall nicht vor. Die Klägerin hatte bis zur Erklärung der Anfechtung gearbeitet.Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 11.10.2012, 6 Sa 641/12

Arbeitszeugnis - kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Dank und gute Wünsche

Der Arbeitgeber ist gesetzlich nicht verpflichtet, das Arbeitszeugnis mit Formulierungen abzuschließen, in denen er dem Arbeitnehmer für die geleisteten Dienste dankt, dessen Ausscheiden bedauert oder ihm für die Zukunft alles Gute wünscht. Das einfache Zeugnis muss nach § 109 Abs. 1 Satz 2 GewO mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthalten. Der Arbeitnehmer kann gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. Aussagen über persönliche Empfindungen des Arbeitgebers gehören damit nicht zum notwendigen Zeugnisinhalt. Ist der Arbeitnehmer mit einer vom Arbeitgeber in das Zeugnis aufgenommenen Schlussformel nicht einverstanden, kann er nur die Erteilung eines Zeugnisses ohne diese Formulierung verlangen.

Der Kläger leitete einen Baumarkt der Beklagten. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte ihm die Beklagte ein Arbeitszeugnis mit einer überdurchschnittlichen Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. Das Zeugnis endet mit den Sätzen: „Herr K scheidet zum 28.02.2009 aus betriebsbedingten Gründen aus unserem Unternehmen aus. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute." Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Schlusssatz sei unzureichend und entwerte sein gutes Zeugnis. Er habe Anspruch auf die Formulierung: „Wir bedanken uns für die langjährige Zusammenarbeit und wünschen ihm für seine private und berufliche Zukunft alles Gute." Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Schlusssätze in Zeugnissen, mit denen Arbeitgeber in der Praxis oft persönliche Empfindungen wie Dank oder gute Wünsche zum Ausdruck bringen, sind nicht „beurteilungsneutral", sondern geeignet, die objektiven Zeugnisaussagen zu Führung und Leistung des Arbeitnehmers zu bestätigen oder zu relativieren. Wenn ein Arbeitgeber solche Schlusssätze formuliert und diese nach Auffassung des Arbeitnehmers mit dem übrigen Zeugnisinhalt nicht in Einklang stehen, ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, ein Zeugnis ohne Schlussformel zu erteilen. Auch wenn in der Praxis, insbesondere in Zeugnissen mit überdurchschnittlicher Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, häufig dem Arbeitnehmer für seine Arbeit gedankt wird, kann daraus mangels einer gesetzlichen Grundlage kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Dankesformel abgeleitet werden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 9 AZR 227/11 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Februar 2011 - 21 Sa 74/10

 

BGH Pressemitteilung Nr. 193/2012

Bundesgerichtshof zur Haftung von Eltern für illegales Filesharing ihrer minderjährigen Kinder

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass Eltern für das illegale Filesharing eines 13-jährigen Kindes grundsätzlich nicht haften, wenn sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt hatten und keine Anhaltspunkte dafür hatten, dass ihr Kind diesem Verbot zuwiderhandelt.

Die Klägerinnen sind Tonträgerhersteller. Sie sind Inhaber ausschließlicher urheberrechtlicher Nutzungsrechte an zahlreichen Musikaufnahmen.

Am 28. Januar 2007 wurden nach den Ermittlungen eines von den Klägerinnen beauftragten Unternehmens in einer Internettauschbörse unter einer bestimmten IP-Adresse 1147 Audiodateien zum kostenlosen Herunterladen angeboten. Die Klägerinnen stellten Strafanzeige gegen Unbekannt und teilten der Staatsanwaltschaft die IP-Adresse mit. Nach der im Ermittlungsverfahren eingeholten Auskunft des Internetproviders war die IP-Adresse zur fraglichen Zeit dem Internetanschluss der Beklagten zugewiesen.

Bei den Beklagten handelt es sich um ein Ehepaar. Sie hatten den Internetanschluss auch ihrem damals 13 Jahre alten Sohn zur Verfügung gestellt, dem sie zu seinem 12. Geburtstag den gebrauchten PC des Beklagten zu 1 überlassen hatten.

Bei einer vom zuständigen Amtsgericht angeordneten Durchsuchung der Wohnung der Beklagten wurde am 22. August 2007 der PC des Sohnes der Beklagten beschlagnahmt. Auf dem Computer waren die Tauschbörsenprogramme "Morpheus" und "Bearshare" installiert; das Symbol des Programms "Bearshare" war auf dem Desktop des PC zu sehen.

Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft ließen die Klägerinnen die Beklagten durch einen Rechtsanwalt abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Die Beklagten gaben die Unterlassungserklärung ab. Sie weigerten sich jedoch, Schadensersatz zu zahlen und die Abmahnkosten zu erstatten.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Beklagten seien wegen einer Verletzung ihrer elterlichen Aufsichtspflicht zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch das unbefugte öffentliche Zugänglichmachen der Musikstücke entstanden sei. Sie nehmen die Beklagten wegen des öffentlichen Zugänglichmachens von 15 Musikaufnahmen auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 200 € je Titel, insgesamt also 3.000 € nebst Zinsen sowie auf Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 € in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagten hafteten nach § 832 Abs. 1 BGB für den durch das illegale Filesharing ihres minderjährigen Sohnes entstandenen Schaden, weil sie ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt hätten. Sie hätten die Einhaltung der von ihnen aufgestellten Verhaltensregeln für die Internetnutzung nicht - wie von ihnen behauptet - kontrolliert. Hätten die Beklagte auf dem Computer ihres Sohnes tatsächlich eine Firewall und ein Sicherheitsprogramm installiert, das bezüglich der Installation weiterer Programme auf "keine Zulassung" gestellt gewesen wäre, hätte ihr Sohn die Filesharingsoftware nicht installieren können. Hätte der Beklagte zu 1 den PC seines Sohnes monatlich überprüft, hätte er die von seinem Sohn installierten Programme bei einem Blick in die Softwareliste oder auf den Desktop des Computers entdecken müssen.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des BGH genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kindes, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern - so der BGH - erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.

BGH, Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12 - Morpheus
LG Köln - Urteil vom 30. März 2011 - 28 O 716/10
OLG Köln - Urteil vom 23. März 2012 - 6 U 67/11

 

Arbeitsgericht Mönchengladbach: Fristlose Kündigung "Ich hau dir vor die Fresse" - Langjährig beschäftigter städtischer Mitarbeiter bedroht seinen Vorgesetzten

Der Kläger war seit 1987 als Arbeiter im Bereich Straßenmanagement bei der Stadt Mönchengladbach beschäftigt.Im Zuge der Durchführung von Bodenbelagsarbeiten am Stationsweg äußerte sich der Kläger seinem unmittelbaren Vorgesetzten gegenüber im Beisein eines weiteren Mitarbeiters mit den Worten:„ Ich hau dir vor die Fresse, ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal."Wegen dieses Vorfalles kündigte die Stadt Mönchengladbach das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 06.06.2012 fristlos.Die gegen diese Kündigung vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hat die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Mönchengladbach mit heute verkündetem Urteil abgewiesen.Das Arbeitsgericht hält die fristlose Kündigung für rechtswirksam, da der Kläger seinen Vorgesetzten in strafrechtlich relevanter Art und Weise bedroht hat, wegen der Bedrohung seines damaligen Vorgesetzten ungefähr ein Jahr zuvor bereits´abgemahnt worden war und nach Durchführung einer Beweisaufnahme entgegen der dahingehenden Behauptung des Klägers nicht zur Überzeugung der Kammer festgestellt werden konnte, dass der Kläger zuvor von seinem Vorgesetzten massiv provoziert worden war.

ArbG Mönchengladbach, 6 Ca 1749/12,   07.11.2012

Wechsel zu einer „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft" als Umgehung der Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs

Wechseln Arbeitnehmer durch einen dreiseitigen Vertrag vom Betriebsveräußerer zu einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (B & Q), so ist diese Vereinbarung unwirksam, wenn es für den Arbeitnehmer klar erschien, dass alsbald seine Neueinstellung durch einen Betriebserwerber erfolgen werde.
 Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristung. Über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers war 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen zunächst fort und versuchte es zu veräußern. Im März 2008 hatte die spätere Betriebserwerberin einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen, in dem sie sich verpflichtete, von den ca. 1.600 Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin nach dem Erwerb der Betriebsstätten über 1.100 unbefristet und 400 befristet zu beschäftigen. Danach schloss sie mit dem Insolvenzverwalter einen Kaufvertrag über die sächlichen Betriebsmittel. Im April 2008 vereinbarte der Insolvenzverwalter mit Betriebsrat und Gewerkschaft einen Interessenausgleich und Sozialplan zu einer „übertragenden Sanierung". Dann wurde auf einer Betriebsversammlung am 3. Mai 2008 den Arbeitnehmern das Formular eines dreiseitigen Vertrags ausgehändigt, der das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2008 und die Vereinbarung eines neuen Arbeitsverhältnisses ab dem 1. Juni 2008 00.00 Uhr mit der B & Q vorsah. Außerdem wurden auf derselben Betriebsversammlung den Arbeitnehmern vier weitere von ihnen zu unterzeichnende Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin, beginnend am 1. Juni um 00.30 Uhr vorgelegt. Ein Angebot beinhaltete einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Betriebserwerberin, die anderen drei sahen unterschiedlich lang befristete Arbeitsverhältnisse vor. Der Kläger unterzeichnete alle fünf Vertragsangebote. Die Betriebserwerberin nahm am 30. Mai 2008 das Angebot des Klägers für ein auf 20 Monate befristetes Arbeitsverhältnis an. Ab 1. Juni 2008 arbeitete der Kläger für diese und klagte im Juni 2009 auf Entfristung.

Die Klage hatte vor dem Landesarbeitsgericht und dem 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Beklagte kann sich auf die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den vom Kläger mit der B & Q geschlossenen Arbeitsvertrag, der nur eine halbe Stunde bestand, nicht berufen. Nach den Umständen, unter denen dieser Vertrag zustande kam, erschien es klar, dass er dem Zweck diente, die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses zu unterbrechen und die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen. Dass der Kläger nicht dauerhaft aus dem Betrieb ausscheiden sollte, ergab sich für ihn sowohl aus den Rahmenvereinbarungen des Insolvenzverwalters als auch daraus, dass er gleichzeitig mit der Unterzeichnung des B & Q-Angebotes vier Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin abzugeben hatte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 8 AZR 572/11 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 25. Februar 2011 - 3 Sa 673/10 –Bundesarbeitsgericht, Pressemitteilung Nr. 76/12  

 

Urlaub und Urlaubsabgeltung

Mit einer neuen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht jetzt Klarheit hinsichtlich verschiedener Fragen des Urlaubsrechts geschaffen, die durch eine Entscheidung des EuGH ausgelöst worden waren. Nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) muss Urlaub, der in das auf das Urlaubsjahr folgende Jahr übertragen wurde, in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Am 31.03. des Folgejahres verfällt nach dem Wortlaut des Gesetzes damit „alter" Urlaub. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Erwerb eines Urlaubsanspruchs nicht davon abhängig ist, dass der Arbeitnehmer im Kalenderjahr überhaupt gearbeitet hat. Es entschied weiter, dass krankheitsbedingt nicht genommener Urlaub zwar nicht am 31.03. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verfällt, aber auch nicht unbegrenzt "angesammelt" werden kann, sondern in Anlehnung an eine neue Entscheidung des EuGH, der seine vorherige Rechtsprechung korrigierte, ohne dies explizit einzuräumen, auch krankheitsbedingt nicht genommener Urlaub 15 Monate nach dem Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Die Entscheidung im einzelnen:

    

  1. Der gesetzliche Erholungsurlaub (§§ 1, 3 BUrlG) und der schwerbehinderten Menschen zustehende Zusatzurlaub (§ 125 Abs. 1 SGB IX) setzen keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus. Gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht und eine tarifliche Regelung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an den Bezug dieser Rente knüpft.
  2. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (im Anschluss an EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS]).3. Für die Leistung der Urlaubsabgeltung ist im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Zeit nach dem Kalender bestimmt, sodass der Arbeitgeber grundsätzlich noch nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst durch Mahnung in Verzug kommt.

 

 

Ohne Bedeutung ist, dass das Arbeitsverhältnis ab dem 20. Dezember 2004 bis zu seiner Beendigung am 31. März 2009 aufgrund des Bezugs der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD geruht hat. Zwar bestimmt § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD im Wesentlichen übereinstimmend mit der Vorgängervorschrift § 48 Abs. 3 Satz 1 BAT, dass sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel vermindert, wenn das Arbeitsverhältnis ruht. Diese Vorschrift ist jedoch jedenfalls insoweit unwirksam, als sie auch die Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern und schwerbehinderten Menschen erfasst, die aus gesundheitlichen Gründen nicht die ihnen nach dem Arbeitsvertrag obliegende Leistung erbracht haben. Eine solche Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu. Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen steht auch dann nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (vgl. BAG 8. März 1994 - 9 AZR 49/93 - zu III 2 der Gründe, BAGE 76, 74), wenn längere Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht die geschuldete Arbeitsleistung erbracht wurde. Kraft ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann von den Vorschriften der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG auch in Tarifverträgen nicht abgewichen werden. Das Verbot der Abweichung gilt unabhängig davon, ob im Urlaubsjahr eine Arbeitsleistung erbracht wurde oder der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen daran ganz oder teilweise gehindert war. Daraus folgt, dass bei „ordnungsgemäß krankgeschriebenen" Arbeitnehmern der allen Arbeitnehmern zustehende Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden darf, dass sie während des Urlaubsjahres tatsächlich gearbeitet haben.Die Annahme, dass Urlaubsansprüche im ruhenden Arbeitsverhältnis auch dann nicht entstehen, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses auf eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zurückzuführen ist, ist mit der in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG angeordneten Unabdingbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs nicht zu vereinbaren.

Nach der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH hat der Senat angenommen, der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs erlösche nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG genannten Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist, und hat § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG nach den Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie in der Auslegung des EuGH in der Schultz-Hoff-Entscheidung richtlinienkonform ausgelegt bzw. fortgebildet (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 57 ff., BAGE 130, 119). Nunmehr hat der EuGH in der KHS-Entscheidung seine Schlussfolgerung im Schultz-Hoff-Urteil, dass eine nationale Bestimmung, mit der ein Übertragungszeitraum festgelegt wird, nicht das Erlöschen des Anspruchs des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub vorsehen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch auszuüben, ausdrücklich „nuanciert" (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 28, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Er hat erkannt, dass Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Urlaub erlischt (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 44, aaO).

Angesichts dieser geänderten Rechtsprechung des EuGH ist die Frage in Rechtsprechung (Hessisches LAG 7. Februar 2012 - 19 Sa 818/11 - Revision anhängig unter - 9 AZR 305/12 -; LAG Hamm 12. Januar 2012 - 16 Sa 1352/11 - Revision anhängig unter - 9 AZR 232/12 -; LAG Baden-Württemberg 21. Dezember 2011 - 10 Sa 19/11 - Revision anhängig unter - 9 AZR 225/12 -) und Literatur (vgl. nur Bauer/von Medem NZA 2012, 113, 115 f.; Gehlhaar NJW 2012, 271, 273 f.; Pötters/Stiebert NJW 2012, 1034, 1037; Schinz RdA 2012, 181, 184; Bayreuther DB 2011, 2848, 2849; Franzen NZA 2011, 1403, 1405; Forst Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7) unterschiedlich beantwortet worden, ob auch nach der „nuancierten" Rechtsprechung des EuGH an einer zeitlich nicht begrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit festzuhalten sei. Erörtert wurde, ob aufgrund der Erkenntnis des EuGH in der KHS-Entscheidung, dass die Arbeitszeitrichtlinie nur einen Übertragungszeitraum verlangt, der die Dauer des Bezugzeitraums deutlich überschreitet (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, aaO), und ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten diese Voraussetzung bei einem Bezugszeitraum von einem Jahr erfüllt, § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG unionsrechtskonform so ausgelegt werden kann oder muss, dass diese Vorschrift auch die Mindesturlaubsansprüche bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit begrenzt. Diskutiert wurde auch, ob der Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG („drei Monate") aufgrund der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung und zeitlichen Begrenzung der gesetzlichen Urlaubsansprüche bei Dauererkrankung des Arbeitnehmers entgegensteht (vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 37, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20; Schinz RdA 2012, 181, 185; Suckow/Klose JbArbR Bd. 49 S. 59, 73). Letzteres ist nicht der Fall. Eine modifizierte unionsrechtskonforme Auslegung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist nach der modifizierten Rechtsprechung des EuGH in der KHS-Entscheidung geboten.

Eine solche unionsrechtskonforme Auslegung entspricht dem vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG verfolgten Zweck, wenn die Ziele des Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und der regelmäßig anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien berücksichtigt werden (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 59 mwN, BAGE 130, 119). Dabei kann dahinstehen, inwieweit rechtsmethodisch an der klassischen Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung festzuhalten ist (kritisch zur Wortlautgrenze: Pötters/Christensen JZ 2011, 387, 389 ff.; kritisch zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung: Kamanabrou SAE 2009, 233, 234 ff.; Höpfner Anm. AP BUrlG § 11 Nr. 65). Auch das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass der Wortlaut im Regelfall keine starre Auslegungsgrenze zieht und zählt zu den anerkannten Methoden der Auslegung von Gesetzen auch die teleologische Reduktion (BVerfG 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06 ua. - Rn. 57, NJW 2012, 669). Entscheidend ist, dass sich weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus den Gesetzesmaterialien zum BUrlG ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers ergibt, den Urlaubsanspruch auch dann zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG genannten Übertragungszeitraums erlöschen zu lassen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit nicht dazu in der Lage war, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Es ist ebenso möglich, dass der Gesetzgeber den Fall nicht im Auge hatte, dass die Verwirklichung des Urlaubs im Kalenderjahr und im Übertragungszeitraum wegen Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen ist (vgl. BAG 13. November 1969 - 5 AZR 82/69 - zu 2 der Gründe, BAGE 22, 211).

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7.8.2012, 9 AZR 353/10